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Medienguide Bamberg
Unheimlich Fantastisch – E.T.A. Hoffmann 2022
Theater
Auch das Theater faszinierte Hoffmann. Nach Bamberg kam er, weil ihm eine Anstellung am dortigen Theater die Chance bot, seine musikalische Begabung zum Beruf zu machen. Zunächst war er Musikdirektor, später unter dem Theaterdirektor Franz von Holbein unter anderem für die Bühnenbilder und praktische Fragen des Theaterbetriebs zuständig. Nach Aufführungen im Berliner Nationaltheater zeichnete er 1808 für seine Sammlung grotesker Gestalten die dort auftretenden Schauspieler in ihren Rollen. Auch die Szenen der italienischen Commedia dell’arte und ihre Darstellung durch Jacques Callot inspirierten sein zeichnerisches und literarisches Werk.
„Sammlung grotesker Gestalten“
Hoffmann verfasste 1808 Erläuterungen zu seiner Sammlung grotesker Gestalten. Darin betont er sein Interesse an einem „fantastischen Reich, wo der Scherz regiert, und wo der Ernst selbst zur komischen Maske wird“. Das Theater scheint für ihn ein Ort zu sein, der einen Zugang zu diesem Reich eröffnet, wie es ja auch seine Erzählungen immer wieder tun. Die drei grotesken Gestalten aus der Sammlung zeigen die Schauspieler Carl Wilhelm Ferdinand Unzelmann, den Tänzer Beske, sowie den Sänger Gottfried Christian Kaselitz in ihren jeweiligen Rollen. Dadurch binden sie, wie auch Hoffmanns Erzählungen, das Fantastische an die Realität an.
Textausschnitt: Don Juan
Ein durchdringendes Läuten, der gellende Ruf: Das Theater fängt an! weckte mich aus dem sanften Schlaf, in den ich versunken war; Bässe brummen durcheinander — ein Paukenschlag — Trompetenstöße — ein klares A, von der Hoboe ausgehalten — Violinen stimmen ein: ich reibe mir die Augen. Sollte der allezeit geschäftige Satan mich im Rausche — ? Nein! ich befinde mich in dem Zimmer des Hôtels, wo ich gestern Abend halb gerädert abgestiegen. Gerade über meiner Nase hängt die stattliche Troddel der Klingelschnur; ich ziehe sie heftig an, der Kellner erscheint.
»Aber was, um’s Himmels willen, soll die konfuse Musik da neben mir bedeuten? gibt es denn ein Konzert hier im Hause?«
»Ew. Exzellenz — (Ich hatte Mittags an der Table d’Hôte Champagner getrunken!) Ew. Exzellenz wissen vielleicht noch nicht, daß dieses Hôtel mit dem Theater verbunden ist. Diese Tapetentür führt auf einen kleinen Korridor, von dem Sie unmittelbar in Nro. 23 treten: das ist die Fremdenloge.«
»Was? — Theater? — Fremdenloge?«
»Ja, die kleine Fremdenloge zu zwei, höchstens drei Personen — nur so für vornehme Herren, ganz grün tapeziert, mit Gitterfenstern, dicht beim Theater! Wenn’s Ew. Exzellenz gefällig ist — wir führen heute den Don Juan von dem berühmten Herrn Mozart aus Wien auf. Das Legegeld, einen Taler acht Groschen, stellen wir in Rechnung.«
Das Letzte sagte er schon die Logentür aufdrückend, so rasch war ich bei dem Worte Don Juan, durch die Tapetentür in den Korridor geschritten. Das Haus war, für den mittelmäßigen Ort, geräumig, geschmackvoll dekoriert und brillant erleuchtet. Logen und Parterre waren gedrängt voll. Die ersten Akkorde der Ouvertüre überzeugten mich, daß ein ganz vortreffliches Orchester, sollten die Sänger auch nur im mindesten etwas leisten, mir den herrlichsten Genuß des Meisterwerks verschaffen würde. — In dem Andante ergriffen mich die Schauer des furchtbaren, unterirdischen regno all pianto; grausenerregende Ahnungen des Entsetzlichen erfüllten mein Gemüt. Wie ein jauchzender Frevel klang mir die jubelnde Fanfare im siebenten Takte des Allegro; ich sah aus tiefer Nacht feurige Dämonen ihre glühenden Krallen ausstrecken — nach dem Leben froher Menschen, die auf des bodenlosen Abgrunds dünner Decke lustig tanzten. Der Konflikt der menschlichen Natur mit den unbekannten, gräßlichen Mächten, die ihn, sein Verderben erlauernd, umfangen, trat klar vor meines Geistes Augen. Endlich beruhigt sich der Sturm; der Vorhang fliegt auf. Frostig und unmutvoll in seinen Mantel gehüllt, schreitet Leporello in finstrer Nacht vor dem Pavillon einher: Notte e giorno faticar. — Also italienisch? — Hier am deutschen Orte italienisch? Ah che piacere! ich werde alle Rezitative, alles so hören, wie es der große Meister in seinem Gemüt empfing und dachte! Da stürzt Don Juan heraus; hinter ihm Donna Anna, bei dem Mantel den Frevler festhaltend. Welches Ansehn! Sie könnte höher, schlanker gewachsen, majestätischer im Gange sein: aber welch ein Kopf! — Augen, aus denen Liebe, Zorn, Haß, Verzweiflung, wie aus Einem Brennpunkt eine Strahlenpyramide blitzender Funken werfen, die, wie griechisches Feuer, unauslöschlich das Innerste durchbrennen! des dunklen Haares aufgelöste Flechten wallen in Wellenringeln den Nacken hinab. Das weiße Nachtkleid enthüllt verräterisch nie gefahrlos belauschte Reize. Von der entsetzlichen Tat umkrallt, zuckt das Herz in gewaltsamen Schlägen. — Und nun — welche Stimme! Non sperar se non m’uccidi. — Durch den Sturm der Instrumente leuchten, wie glühende Blitze, die aus ätherischem Metall gegossenen Töne! — Vergebens sucht sich Don Juan loszureißen. — Will er es denn? Warum stößt er nicht mit kräftiger Faust das Weib zurück, und entflieht? macht ihn die böse Tat kraftlos, oder ist es der Kampf von Haß und Liebe im Innern, der ihm Mut und Stärke raubt? — Der alte Papa hat seine Torheit, im Finstern den kräftigen Gegner anzufallen, mit dem Leben gebüßt; Don Juan und Leporello treten im rezitierenden Gespräch weiter vor ins Proszenium. Don Juan wickelt sich aus dem Mantel, und steht da, in rotem, gerissenen Sammet mit silberner Stickerei, prächtig gekleidet. Eine kräftige, herrliche Gestalt: das Gesicht ist männlich schön; eine erhabene Nase, durchbohrende Augen, weich geformte Lippen; das sonderbare Spiel eines Stirnmuskels über den Augenbraunen bringt sekundenlang etwas vom Mephistopheles in die Physiognomie, das, ohne dem Gesicht die Schönheit zu rauben, einen unwillkürlichen Schauer erregt. Es ist, als könne er die magische Kunst der Klapperschlange üben; es ist, als könnten die Weiber, von ihm angeblickt, nicht mehr von ihm lassen, und müßten, von der unheimlichen Gewalt gepackt, selbst ihr Verderben vollenden. — Lang und dürr, in rot- und weißgestreifter Weste, kleinem roten Mantel, weißem Hut mit roter Feder, trippelt Leporello um ihn her. Die Züge seines Gesichts mischen sich seltsam zu dem Ausdruck von Gutherzigkeit, Schelmerei, Lüsternheit und ironisierender Frechheit; zum graulichen Kopf und Bart kontrastieren sonderbar die schwarzen Augenbrauen. Man merkt es, der alte Bursche verdient Don Juans helfender Diener zu sein. — Glücklich sind sie über die Mauer geflüchtet. — Fackeln — Donna Anna und Don Ottavio erscheinen: ein zierliches, geputztes, gelecktes Männlein, von ein und zwanzig Jahren höchstens. Als Anna’s Bräutigam wohnte er, da man ihn so schnell herbeirufen konnte, wahrscheinlich im Hause; auf den ersten Lärm, den er gewiß hörte, hätte er herbeieilen und vielleicht den Vater retten können: er mußte sich aber erst putzen und mochte überhaupt Nachts nicht gern sich herauswagen. — »Ma qual mai s’offre, o dei, spettacolo funesto agli occhi miei!« Mehr als Verzweiflung über den grausamsten Frevel liegt in den entsetzlichen, herzzerschneidenden Tönen dieses Rezitativs und Duetts. Don Juans gewaltsames Attentat, das ihm Verderben nur drohte, dem Vater aber den Tod gab, ist es nicht allein, was diese Töne der beängsteten Brust entreißt: nur ein verderblicher, tötender Kampf im Innern kann sie hervorbringen. —
Eben schalt die lange, hagere Donna Elvira mit sichtlichen Spuren großer, aber verblühter Schönheit den Verräter, Don Juan: Tu nido d’inganni, und der mitleidige Leporello bemerkte ganz klug: parla come un libro stampato, als ich Jemand neben oder hinter mir zu bemerken glaubte. Leicht konnte man die Logentür leise geöffnet haben, und hineingeschlüpft sein — das fuhr mir wie ein Stich durch’s Herz. Ich war so glücklich, mich allein in der Loge zu befinden, um ganz ungestört das so vollkommen dargestellte Meisterwerk mit allen Empfindungsfasern, wie mit Polypenarmen, zu umklammern und in mein Selbst hineinzuziehen! ein einziges Wort, das obendrein albern sein konnte, hätte mich auf eine schmerzhafte Weise herausgerissen aus dem herrlichen Moment der poetisch-musikalischen Exaltation! Ich beschloß, von meinem Nachbar gar keine Notiz zu nehmen, sondern, ganz in die Darstellung vertieft, jedes Wort, jeden Blick abzuschneiden. Den Kopf in die Hand gestützt, dem Nachbar den Rücken wendend, schauete ich hinaus. — Der Gang der Darstellung entsprach dem vortrefflichen Anfange. Die kleine, lüsterne, verliebte Zerlina tröstete mit gar lieblichen Tönen und Weisen den gutmütigen Tölpel Masetto. Don Juan sprach sein inneres, zerrissenes Wesen, den Hohn über die Menschlein um ihn her, nur aufgestellt zu seiner Lust, in ihr mättliches Tun und Treiben verderbend einzugreifen, in der wilden Arie: Fin ch’han dal vino — ganz unverhohlen aus. Gewaltiger als bisher zuckte hier der Stirnmuskel. — Die Masken erschienen. Ihr Terzett ist ein Gebet, das in rein glänzenden Strahlen zum Himmel steigt. — Nun fliegt der Mittelvorhang auf. Da geht es lustig her; Becher erklingen, in fröhlichem Gewühl wälzen sich die Bauern und allerlei Masken umher, die Don Juans Fest herbeigelockt hat. — Jetzt kommen die drei zur Rache Verschwornen. Alles wird feierlicher, bis der Tanz angeht. Zerlina wird gerettet, und in dem gewaltig donnernden Finale tritt mutig Don Juan mit gezogenem Schwert seinen Feinden entgegen. Er schlägt dem Bräutigam den stählernen Galanterie-Degen aus der Hand, und bahnt sich durch das gemeine Gesindel, das er, wie der tapfere Roland die Armee des Tyrannen Cymort, durcheinander wirft, daß alles gar possierlich über einander purzelt, den Weg ins Freie. —
Schon oft glaubte ich dicht hinter mir einen zarten, warmen Hauch gefühlt, das Knistern eines seidenen Gewandes gehört zu haben: das ließ mich wohl die Gegenwart eines Frauenzimmers ahnen, aber ganz versunken in die poetische Welt, die mir die Oper aufschloß, achtete ich nicht darauf. Jetzt, da der Vorhang gefallen war, schauete ich nach meiner Nachbarin. — Nein — keine Worte drücken mein Erstaunen aus: Donna Anna, ganz in dem Kostüme, wie ich sie eben auf dem Theater gesehen, stand hinter mir, und richtete auf mich den durchdringenden Blick ihres seelenvollen Auges. —
aus: Hoffmann, E.T.A: Sämtliche Werke in sechs Bänden. Hg. von Hartmut Steinecke und Wulf Segebrecht. Band 1. Frühe Prosa/Briefe/Tagebücher/Libretti/Juristische Schrift. Werke 1794–1813, Frankfurt a. M. 2003, S. 83–87.
E.T.A. Hoffmann: Entwurf einer Bühnendekoration zum Schauspiel Käthchen von Heilbronn von Heinrich von Kleist. Bamberg 1811. In: Handzeichnungen E.T.A. Hoffmanns in Faksimilelichtdruck nach den Originalen. Herausgegeben von Walter Steffen und Hans v. Müller. Berlin 1925. Tafel 4. Staatsbibliothek Bamberg, 22/ETA.K, Art.f.23-ga. Foto: Gerald Raab
Literaturempfehlungen:
Dengler-Schreiber, Karin: So ein Theater. Geschichten aus 200 und einem Jahr Bamberger Stadttheater. Bamberg 2003.
Dewenter, Bastian: Von Enthusiasten, Theaterdirektoren und Scharlatanen. Der Theaterdiskurs in E.T.A. Hoffmanns Erzählungen. Heidelberg 2017.
Köppler, Rudolf: E.T.A. Hoffmann am Bamberger Theater. Ein Beitrag zur Kenntnis seiner Persönlichkeit, seiner Werke und der Theatergeschichte Bambergs. In: Bericht des Historischen Vereins Bamberg, 81 (1929), S. 1–133.
Leist, Friedrich: Geschichte des Theaters in Bamberg bis zum Jahre 1862. 2., vollständig umgearbeitete Auflage. Bamberg 1893.
Petzel, Jörg: E.T.A. Hoffmanns theatralische Sendung. Seine Beziehungen zu den Schauspielern Iffland, Holbein, Leo und Devrient, in: Hoffmann-Jb. 17 (2009), S. 124–136.
Wagner, Caroline: Kleists Käthchen von Heilbronn in Bamberg. Zur Erinnerung an die deutsche Erstaufführung am 1. September 1811. In: Hoffmann-Jb. 20 (2012), S. 74–82.