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Medienguide Bamberg
Unheimlich Fantastisch – E.T.A. Hoffmann 2022

Romantische Musik

E.T.A. Hoffmann: Selbstbildnis: Der Kapellmeister Johannes Kreisler in Haustracht. Berlin 1815. Staatsbibliothek Bamberg, I R 65. Foto: Gerald Raab. CC BY-SA 4.0

E.T.A. Hoffmann: Selbstbildnis: Der Kapellmeister Johannes Kreisler in Haustracht. Berlin 1815. Staatsbibliothek Bamberg, I R 65. Foto: Gerald Raab. CC BY-SA 4.0

Hoffmanns Weg zur Literatur führte über die Musik. Zunächst schrieb er vor allem Musikkritiken. 1810 entwickelte er in seiner Rezension der 5. Symphonie Beethovens den Begriff der romantischen Musik. Ihre Eigenart zeige sich insbesondere in der Instrumentalmusik, die beim Zuhörer Empfindungen wecke und die Fantasie direkt anrege. Beethoven bedankte sich bei Hoffmann 1820 brieflich für die Besprechung seiner Werke. Hoffmanns 1816 uraufgeführte Undine gilt mit ihrer schaurig-romantischen Darstellung der Welt um den Wassergeist Undine und ihren Vater Kühlborn heute als erste romantische Oper.

„Der Kapellmeister Johannes Kreisler in Haustracht“

Friedrich de la Motte Fouqués Kunstmärchen Undine war 1811 in seiner Zeitschrift Jahreszeiten und in einer Buchausgabe erschienen. Für die von Hoffmann geplante Oper erarbeitete Fouqué auf dieser Grundlage das Libretto. Das Interesse des Publikums an der etwa dreistündigen Oper, die am 3. August 1816 anlässlich des Geburtstagsfestes von Friedrich Wilhelm III. uraufgeführt wurde, war groß. Der Komponist Carl Maria von Weber urteilte: „Das ganze Werk ist eines der geistvollsten, dass uns die neuere Zeit geschenkt hat.“ Auf Hoffmanns Selbstporträt Der Kapellmeister Johannes Kreisler in Haustracht ist die Partitur der Undine abgebildet.

Robert Bauer-Haderlein: Undine. Skulptur vor der Landeszentralbank in Bamberg. Foto: Hajo Lindner, via Wikimedia Commons. CC-BY 4.0

Robert Bauer-Haderlein: Undine. Skulptur vor der Landeszentralbank in Bamberg. Foto: Hajo Lindner, via Wikimedia Commons. CC-BY 4.0

Rezension zu Beethovens 5. Sinfonie

Rez. hat eins der wichtigsten Werke des Meisters, dem als Instrumental-Komponisten jetzt wohl keiner den ersten Rang bestreiten wird, vor sich; er ist durchdrungen von dem Gegenstande, worüber er sprechen soll, und niemand mag es ihm verargen, wenn er, die Grenzen der gewöhnlichen Beurteilungen überschreitend, alles das in Worte zu fassen strebt, was er bei jener Komposition tief im Gemüte empfand. — Wenn von der Musik als einer selbstständigen Kunst die Rede ist, sollte immer nur die Instrumental-Musik gemeint sein, welche, jede Hülfe, jede Beimischung einer andern Kunst verschmähend, das eigentümliche, nur in ihr zu erkennende Wesen der Kunst rein ausspricht. Sie ist die romantischte aller Künste, — fast möchte man sagen, allein rein romantisch. — Orpheus Lyra öffnete die Tore des Orkus. Die Musik schließt dem Menschen ein unbekanntes Reich auf; eine Welt, die nichts gemein hat mit der äußern Sinnenwelt, die ihn umgibt, und in der er alle durch Begriffe bestimmbaren Gefühle zurückläßt, um sich dem Unaussprechlichen hinzugeben. Wie wenig erkannten die Instrumental-Komponisten dies eigentümliche Wesen der Musik, welche versuchten, jene bestimmbaren Empfindungen, oder gar Begebenheiten darzustellen, und so die der Plastik geradezu entgegengesetzte Kunst plastisch zu behandeln! Dittersdorfs Symphonien der Art, so wie alle neuere Batailles de trois Empereurs etc. sind, als lächerliche Verirrungen, mit gänzlichem Vergessen zu bestrafen. — In dem Gesange, wo die hinzutretende Poesie bestimmte Affekte durch Worte andeutet, wirkt die magische Kraft der Musik, wie das Wunder-Elexier der Weisen, von dem etliche Tropfen jeden Trank köstlich und herrlich machen. Jede Leidenschaft — Liebe — Haß — Zorn — Verzweiflung etc. wie die Oper sie uns gibt, kleidet die Musik in den Purpurschimmer der Romantik, und selbst das im Leben Empfundene führt uns hinaus aus dem Leben in das Reich des Unendlichen. So stark ist der Zauber der Musik, und, immer mächtiger wirkend, müßte er jede Fessel einer andern Kunst zerreißen. — Gewiß nicht allein in der Erleichterung der Ausdrucksmittel (Vervollkommnung der Instrumente, größere Virtuosität der Spieler,) sondern in dem tiefern, innigeren Erkennen des eigentümlichen Wesens der Musik liegt es, daß geniale Komponisten die Instrumental-Musik zu der jetzigen Höhe erhoben. Haydn und Mozart, die Schöpfer der neuern Instrumental-Musik, zeigten uns zuerst die Kunst in ihrer vollen Glorie; wer sie da mit voller Liebe anschaute und eindrang in ihr innigstes Wesen, ist — Beethoven. Die Instrumental-Kompositionen aller drei Meister atmen einen gleichen romantischen Geist, welches eben in dem gleichen innigen Ergreifen des eigentümlichen Wesens der Kunst liegt; der Charakter ihrer Kompositionen unterscheidet sich jedoch merklich. Der Ausdruck eines kindlichen, heitern Gemüts herrscht in Haydns Kompositionen. Seine Symphonie führt uns in unabsehbare, grüne Haine, in ein lustiges, buntes Gewühl glücklicher Menschen. Jünglinge und Mädchen schweben in Reihentänzen vorüber; lachende Kinder hinter Bäumen, hinter Rosenbüschen lauschend, werfen sich neckend mit Blumen. Ein Leben voll Liebe, voll Seligkeit, wie vor der Sünde, in ewiger Jugend; kein Leiden, kein Schmerz; nur süßes, wehmütiges Verlangen nach der geliebten Gestalt, die ferne im Glanz des Abendrotes daher schwebt, nicht näher kömmt und nicht verschwindet; und so lange sie da ist, wird es nicht Nacht, denn sie selbst ist das Abendrot, von dem Berg und Hain erglühen. — In die Tiefen des Geisterreichs führt uns Mozart. Furcht umfängt uns: aber, ohne Marter, ist sie mehr Ahnung des Unendlichen.

Liebe und Wehmut tönen in holden Stimmen, die Macht der Geisterwelt geht auf in hellem Purpurschimmer, und in unaussprechlicher Sehnsucht ziehen wir den Gestalten nach, die freundlich uns in ihre Reihen winken, im ewigen Sphärentanze durch die Wolken fliegen. (Z. B. Mozarts Symphonie 5 in Es dur, unter dem Namen des Schwanengesanges bekannt.) So öffnet uns auch Beethovens Instrumental-Musik das Reich des Ungeheueren und Unermeßlichen. Glühende Strahlen schießen durch dieses Reiches tiefe Nacht, und wir werden Riesenschatten gewahr, die auf- und abwogen, enger und enger uns einschließen, und alles in uns vernichten, nur nicht den Schmerz der unendlichen Sehnsucht, in welcher jede Lust, die, schnell in jauchzenden Tönen emporgestiegen, hinsinkt und untergeht, und nur in diesem Schmerz, der, Liebe, Hoffnung, Freude in sich verzehrend, aber nicht zerstörend, unsre Brust mit einem vollstimmigen Zusammenklange aller Leidenschaften zersprengen will, leben wir fort und sind entzückte Geisterseher. — Der romantische Geschmack ist selten, noch seltner das romantische Talent: daher gibt es wohl so wenige, die jene Lyra, welche das wundervolle Reich des Unendlichen aufschließt, anzuschlagen vermögen. Haydn faßt das Menschliche im menschlichen Leben romantisch auf; er ist kommensurabler für die Mehrzahl. Mozart nimmt das Übermenschliche, das Wunderbare, welches im innern Geiste wohnt, in Anspruch. Beethovens Musik bewegt die Hebel des Schauers, der Furcht, des Entsetzens, des Schmerzes, und erweckt jene unendliche Sehnsucht, die das Wesen der Romantik ist. Beethoven ist ein rein romantischer (eben deshalb ein wahrhaft musikalischer) Komponist, und daher mag es kommen, daß ihm Vokal-Musik, die unbestimmtes Sehnen nicht zuläßt, sondern nur die durch Worte bezeichneten Affekte, als in dem Reich des Unendlichen empfunden, darstellt, weniger gelingt und seine Instrumental-Musik selten die Menge anspricht. Eben diese in Beethovens Tiefe nicht eingehende Menge spricht ihm einen hohen Grad von Phantasie nicht ab; dagegen sieht man gewöhnlich in seinen Werken nur Produkte eines Genie’s, das, um Form und Auswahl der Gedanken unbesorgt, sich seinem Feuer und den augenblicklichen Eingebungen seiner Einbildungskraft überließ. Nichts desto weniger ist er, Rücksichts der Besonnenheit, Haydn und Mozart ganz an die Seite zu stellen. Er trennt sein Ich von dem innern Reich der Töne und gebietet darüber als unumschränkter Herr. Wie ästhetische Meßkünstler im Shakspeare oft über gänzlichen Mangel wahrer Einheit und inneren Zusammenhanges geklagt haben, und nur dem tiefern Blick ein schöner Baum, Knospen und Blätter, Blüten und Früchte aus einem Keim treibend, erwächst: so entfaltet auch nur ein sehr tiefes Eingehen in die innere Struktur Beethovenscher Musik die hohe Besonnenheit des Meisters, welche von dem wahren Genie unzertrennlich ist und von dem anhaltenden Studium der Kunst genährt wird. Tief im Gemüte trägt Beethoven die Romantik der Musik, die er mit hoher Genialität und Besonnenheit in seinen Werken ausspricht. Lebhafter hat Rez. dies nie gefühlt, als bei der vorliegenden Symphonie, die in einem bis zum Ende fortsteigenden Klimax jene Romantik Beethovens mehr, als irgend ein anderes seiner Werke entfaltet, und den Zuhörer unwiderstehlich fortreißt in das wundervolle Geisterreich des Unendlichen.

aus: Hoffmann, E.T.A: Sämtliche Werke in sechs Bänden. Hg. von Hartmut Steinecke und Wulf Segebrecht. Band 1. Frühe Prosa/Briefe/Tagebücher/Libretti/Juristische Schrift. Werke 1794–1813, Frankfurt a. M. 2003, S. 532–535.

Literaturempfehlungen:

Allroggen, Gerhard: E.T.A. Hoffmanns Kompositionen. Ein chronologisch-thematisches Verzeichnis seiner musikalischen Werke mit Einführung. Regensburg 1970.

Hoffmann, E.T.A.: Undine. Zauberoper in drei Akten. Klavierauszug von Hans Pfitzner. Leipzig 1906.

Pfitzner, Hans: E.T.A. Hoffmanns Undine. In: Ders.: Vom musikalischen Drama. Gesammelte Aufsätze. München und Leipzig 1915, S. 66–89.