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Medienguide Bamberg
Unheimlich Fantastisch – E.T.A. Hoffmann 2022
Optik
Das Sonnenmikroskop – Vorführungsraum und Aufbau. Martin Frobenius Ledermüller, Nachlese seiner mikroskopischen Gemüths- und Augen-Ergötzungen. I. Sammlung bestehend in zehen fein illuminierten Kupfertafeln, sammt deren Erklärung: und einer getreuen Anweisung, wie man alle Arten Mikroskope, geschickt, leicht und nützlich gebrauchen solle. Nürnberg 1762, Tab. 1.
Zu Hoffmanns Zeit waren mikroskopische Vorführungen verbreitet, zum Beispiel mit Sonnenmikroskopen. Sie sollten bisher nicht Sichtbares sichtbar machen und so dem Publikum Naturphänomene näherbringen. In Hoffmanns Meister Floh aber ermöglichen sie die Entdeckung künstlicher Welten. In zahlreichen anderen Texten Hoffmanns dienen optische Gegenstände nicht der Schärfung des Blicks, sondern der Veränderung von Wahrnehmung. Sie eröffnen so die Welt des Fantastischen und des Unheimlichen.
Sonnenmikroskop
Hoffmann selber erlebte in der „optisch-comoranischen Anstalt“ Johann Carl Enslens in der Französischen Straße in Berlin Vorführungen, im Zuge derer das Publikum durch ein Sonnenmikroskop und eine Laterna magica vergrößerte kleine Tiere und Pflanzen ansehen und so in die Tier- und Pflanzenwelt eintauchen konnten. Hoffmann nutzt diese aus aufklärerisch-didaktischer Motivation hervorgehenden öffentlichen Experimente in seinen Texten zur Einführung unheimlich fantastischer Welten. Immer wieder werden seine Figuren durch optische Geräte – Sonnenmikroskope, Laternae magicae, Fernrohre, Brillen oder gar Hexenspiegel – in ihrer Wahrnehmung getäuscht. Auf diese Weise öffnet sich ihnen wiederholt das Tor zum Fantastischen.
Textausschnitt: Das öde Haus
Ganz versunken in den Anblick des verwunderlichen Wesens am Fenster, das mein Innerstes so seltsam aufregte, hatte ich nicht die quäkende Stimme des italienischen Tabuletkrämers gehört, der mir vielleicht schon lange unaufhörlich seine Waren anbot. Er zupfte mich endlich am Arm; schnell mich umdrehend, wies ich ihn ziemlich hart und zornig ab. Er ließ aber nicht nach mit Bitten und Quälen. Noch gar nichts habe ich heute verdient, nur ein Paar Bleifedern, ein Bündelchen Zahnstocher möge ich ihm abkaufen. Voller Ungeduld, den Überlästigen nur geschwind los zu werden, griff ich in die Tasche nach dem Geldbeutel. Mit den Worten: »Auch hier hab‘ ich noch schöne Sachen!« zog er den untern Schub seines Kastens heraus, und hielt mir einen kleinen runden Taschenspiegel, der in dem Schub unter andern Gläsern lag, in kleiner Entfernung seitwärts vor. — Ich erblickte das öde Haus hinter mir, das Fenster und in den schärfsten deutlichsten Zügen die holde Engelsgestalt meiner Vision — Schnell kauft‘ ich den kleinen Spiegel, der mir es nun möglich machte, in bequemer Stellung, ohne den Nachbarn aufzufallen, nach dem Fenster hinzuschauen. — Doch, indem ich nun länger und länger das Gesicht im Fenster anblickte, wurd‘ ich von einem seltsamen, ganz unbeschreiblichen Gefühl, das ich beinahe waches Träumen nennen möchte, befangen. Mir war es, als lähme eine Art Starrsucht nicht sowohl mein ganzes Regen und Bewegen als vielmehr nur meinen Blick, den ich nun niemals mehr würde abwenden können von dem Spiegel. Mit Beschämung muß ich euch bekennen, daß mir jenes Ammenmärchen einfiel, womit mich in früher Kindheit meine Wart’frau augenblicklich zu Bette trieb, wenn ich mich etwa gelüsten ließ, Abends vor dem großen Spiegel in meines Vaters Zimmer stehen zu bleiben und hinein zu gucken. Sie sagte nehmlich, wenn Kinder Nachts in den Spiegel blickten, gucke ein fremdes, garstiges Gesicht heraus, und der Kinder Augen blieben dann erstarrt stehen. Mir war das ganz entsetzlich graulich, aber in vollem Grausen konnt‘ ich doch oft nicht unterlassen, wenigstens nach dem Spiegel hin zu blinzeln, weil ich neugierig war auf das fremde Gesicht. Einmal glaubt‘ ich ein paar gräßliche glühende Augen aus dem Spiegel fürchterlich herausfunkeln zu sehen, ich schrie auf und stürzte dann ohnmächtig nieder. In diesem Zufall brach eine langwierige Krankheit aus, aber noch jetzt ist es mir, als hätten jene Augen mich wirklich angefunkelt. — Kurz alles dieses tolle Zeug aus meiner frühen Kindheit fiel mir ein, Eiskälte bebte durch meine Adern — ich wollte den Spiegel von mir schleudern — ich vermocht‘ es nicht — nun blickten mich die Himmelsaugen der holden Gestalt an — ja ihr Blick war auf mich gerichtet und strahlte bis ins Herz hinein. Jenes Grausen, das mich plötzlich ergriffen, ließ von mir ab und gab Raum dem wonnigen Schmerz süßer Sehnsucht, die mich mit elektrischer Wärme durchglüht. »Sie haben da einen niedlichen Spiegel«, sprach eine Stimme neben mir. Ich erwachte aus dem Traum und war nicht wenig betroffen, als ich neben mir von beiden Seiten mich zweideutig anlächelnde Gesichter erblickte. Mehrere Personen hatten auf derselben Bank Platz genommen, und nichts war gewisser, als daß ich ihnen mit dem starren Hineinblicken in den Spiegel und vielleicht auch mit einigen seltsamen Gesichtern, die ich in meinem exaltiertem Zustande schnitt, auf meine Kosten ein ergötzliches Schauspiel gegeben.
»Sie haben da einen niedlichen Spiegel«, wiederholte der Mann, als ich nicht antwortete, mit einem Blick, der jener Frage noch hinzufügte: »Aber sagen Sie mir, was soll das wahnsinnige Hineinstarren, erscheinen Ihnen Geister« etc. Der Mann, schon ziemlich hoch in Jahren, sehr sauber gekleidet, hatte im Ton der Rede, im Blick etwas ungemein Gutmütiges und Zutrauen Erweckendes. Ich nahm gar keinen Anstand, ihm geradehin zu sagen, daß ich im Spiegel ein wundervolles Mädchen erblickt, das hinter mir im Fenster des öden Hauses gelegen. — Noch weiter ging ich, ich fragte den Alten, ob er nicht auch das holde Antlitz gesehen. »Dort drüben? — in dem alten Hause — in dem letzten Fenster?« so fragte mich nun wieder ganz verwundert der Alte. »Allerdings, allerdings«, sprach ich; da lächelte der Alte sehr und fing an: »Nun das ist doch eine wunderliche Täuschung — nun meine alten Augen — Gott ehre mir meine alten Augen. Ei ei, mein Herr, wohl habe ich mit unbewaffnetem Auge das hübsche Gesicht dort im Fenster gesehen, aber es war ja ein, wie es mir schien, recht gut und lebendig in Öl gemaltes Portrait.« Schnell drehte ich mich um nach dem Fenster, alles war verschwunden, die Jalousie herunter gelassen. »Ja!« fuhr der Alte fort, »ja, mein Herr, nun ist’s zu spät, sich davon zu überzeugen, denn eben nahm der Bediente, der dort, wie ich weiß, als Kastellan das Absteigequartier der Gräfin von S. ganz allein bewohnt, das Bild, nachdem er es abgestäubt, vom Fenster fort und ließ die Jalousie herunter.« »War es denn gewiß ein Bild?« fragte ich nochmals ganz bestürzt. »Trauen Sie meinen Augen«, erwiderte der Alte. »Daß Sie nur den Reflex des Bildes im Spiegel sahen, vermehrte gewiß sehr die optische Täuschung und — wie ich noch in Ihren Jahren war, hätt‘ ich nicht auch das Bild eines schönen Mädchens, kraft meiner Fantasie, ins Leben gerufen?« »Aber Hand und Arm bewegten sich doch«, fiel ich ein. »Ja, ja, sie regten sich, alles regte sich«, sprach der Alte, lächelnd und sanft mich auf die Schulter klopfend. Dann stand er auf und verließ mich, höflich sich verbeugend, mit den Worten: »Nehmen Sie sich doch vor Taschenspiegeln in Acht, die so häßlich lügen. — Ganz gehorsamster Diener.« — Ihr könnt denken, wie mir zu Mute war, als ich mich so als einen törichten, blödsichtigen Fantasten behandelt sah. Mir kam die Überzeugung, daß der Alte Recht hatte, und daß nur in mir selbst das tolle Gaukelspiel aufgegangen, das mich mit dem öden Hause, zu meiner eignen Beschämung, so garstig mystifizierte.
Ganz voller Unmut und Verdruß lief ich nach Hause, fest entschlossen, mich ganz los zu sagen von jedem Gedanken an die Mysterien des öden Hauses, und wenigstens einige Tage hindurch die Allee zu vermeiden
aus: Hoffmann, E.T.A: Sämtliche Werke in sechs Bänden. Hg. von Hartmut Steinecke und Wulf Segebrecht. Band 3. Nachtstücke/Klein Zaches/ Prinzessin Brambilla. Werke 1816–1820, Frankfurt a. M. 1985, S. 177–179.
Literaturempfehlungen:
Gaderer, Rupert: Poetik der Technik. Elektrizität und Optik bei E.T.A. Hoffmann. Freiburg i. Br. 2009.
Kittler, Friedrich A.: Die Laterna magica der Literatur: Schillers und Hoffmanns Medienstrategien. In: Athenäum 4 (1994), S. 219–237.
Köhnen, Ralph: Das optische Wissen. Mediologische Studien zu einer Geschichte des Sehens. Paderborn 2009.
Lüdemann, Susanne: Vom Römischen Karneval zur ökonomischen Automate. Massendarstellung bei Goethe und E.T.A. Hoffmann. In: Dies. und Hebekus, Uwe (Hg.): Massenfassungen. Beiträge zur Diskurs- und Mediengeschichte der Menschenmenge. München 2010, S. 107–124.
Stadler, Ulrich: Von Brillen, Lorgnetten, Fernrohren und Kuffischen Sonnenmikroskopen. Zum Gebrauch optischer Instrumente in Hoffmanns Erzählungen. In: Hoffmann-Jb. 1 (1992/1993), S. 91–105.