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Medienguide Bamberg
Unheimlich Fantastisch – E.T.A. Hoffmann 2022
Elektrizität
Joseph Bergler, Joseph Gerstner: Der elektrische Kuss. Venus Electrificata. Um 1800. Deutsches Museum München, Signatur: GS 00832. Deutsches Museum, München, Archiv, CD_86149.
Die Elektrizität faszinierte die Menschen zu Hoffmanns Zeit. Beliebt waren Veranstaltungen, bei denen man elektrische Experimente zur Unterhaltung des Publikums durchführte. Bisweilen wurden Frauenkörper elektrisch geladen; wenn dann jemand diese Venus electrificata küsste, sprühten Funken. Elektrische Ladung erzeugte man mit Elektrisiermaschinen oder Leidener Flaschen. Die Elektrizität faszinierte auch Hoffmann und er führte Experimente vor Verwandten und Freunden durch. In seinen Texten nutzte er die Elektrizität als Mittel zur Darstellung von Gefühlen, erotisch-sexuellen Abhängigkeiten und zur Erklärung übersinnlicher Ereignisse.
„Venus electrificata“
Zur Zeit E.T.A. Hoffmanns fand die Beschäftigung mit Elektrizität nicht in den Laboren der Universitäten statt. Experimentatoren entwickelten ihre Apparaturen zur Erzeugung von elektrischer Ladung außerhalb der Forschungseinrichtungen und unterhielten mit ihnen das Publikum. Besonders beeindruckend war hier die sogenannte Venus electrificata, die der Physiker Georg Matthias Bose in seinem Lehrgedicht Die Electricität nach ihrer Entdeckung und Fortgang mit poetischer Feder entworfen (1744) beschrieb. Dazu hatte sich eine junge Frau auf eine elektrisch isolierte Erhöhung zu stellen. Ihr Körper wurde dann elektrisch geladen, sodass sich die Elektrizität entlud, wenn jemand aus dem Publikum die Frau küsste.
Textausschnitt: Der goldne Topf
Ich wollte, daß du, günstiger Leser! am drei und zwanzigsten September auf der Reise nach Dresden begriffen gewesen wärst; vergebens suchte man, als der späte Abend hereinbrach, dich auf der letzten Station aufzuhalten; der freundliche Wirt stellte dir vor, es stürme und regne doch gar zu sehr und überhaupt sei es auch nicht geheuer in der Aequinoktialnacht so ins Dunkle hineinzufahren, aber du achtetest dessen nicht, indem du ganz richtig annahmst: ich zahle dem Postillion einen ganzen Taler Trinkgeld und bin spätestens um ein Uhr in Dresden, wo mich im goldnen Engel oder im Helm oder in der Stadt Naumburg ein gut zugerichtetes Abendessen und ein weiches Bette erwartet. Wie du nun so in der Finsternis daher fährst, siehst du plötzlich in der Ferne ein ganz seltsames flackerndes Leuchten. Näher gekommen erblickst du einen Feuerreif, in dessen Mitte bei einem Kessel, aus dem dicker Qualm und blitzende rote Strahlen und Funken emporschießen, zwei Gestalten sitzen. Gerade durch das Feuer geht der Weg, aber die Pferde prusten und stampfen und bäumen sich — der Postillion flucht und betet — und peitscht auf die Pferde hinein — sie gehen nicht von der Stelle — Unwillkürlich springst du aus dem Wagen und rennst einige Schritte vorwärts. Nun siehst du deutlich das schlanke holde Mädchen, die im weißen dünnen Nachtgewande bei dem Kessel kniet. Der Sturm hat die Flechten aufgelöst und das lange kastanienbraune Haar flattert frei in den Lüften. Ganz im blendenden Feuer der unter dem Dreifuß emporflackernden Flammen steht das engelschöne Gesicht, aber in dem Entsetzen, das seinen Eisstrom darüber goß, ist es erstarrt zur Totenbleiche, und in dem stieren Blick, in den heraufgezogenen Augenbraunen, in dem Munde, der sich vergebens dem Schrei der Todesangst öffnet, welcher sich nicht entwinden kann der von namenloser Folter gepreßten Brust, siehst du ihr Grausen, ihr Entsetzen; die kleinen Händchen hält sie krampfhaft zusammengefaltet in die Höhe, als riefe sie betend die Schutzengel herbei sie zu schirmen vor den Ungetümen der Hölle, die dem mächtigen Zauber gehorchend nun gleich erscheinen werden! — So kniet sie da unbeweglich wie ein Marmorbild. Ihr gegenüber sitzt auf dem Boden niedergekauert ein langes hageres kupfergelbes Weib mit spitzer Habichtsnase und funkelnden Katzenaugen; aus dem schwarzen Mantel, den sie umgeworfen, starren die nackten knöchernen Arme hervor und rührend in dem Höllensud lacht und ruft sie mit krächzender Stimme durch den brausenden tosenden Sturm. — Ich glaube wohl, daß dir, günstiger Leser! kenntest du auch sonst keine Furcht und Scheu, sich doch bei dem Anblick dieses Rembrandtschen oder Höllenbreughelschen Gemäldes, das nun ins Leben getreten, vor Grausen die Haare auf dem Kopfe gesträubt hätten. Aber dein Blick konnte nicht loskommen von dem im höllischen Treiben befangenen Mädchen, und der elektrische Schlag, der durch alle deine Fibern und Nerven zitterte, entzündete mit der Schnelligkeit des Blitzes in dir den mutigen Gedanken Trotz zu bieten den geheimnisvollen Mächten des Feuerkreises; in ihm ging dein Grausen unter, ja der Gedanke selbst keimte auf in diesem Grausen und Entsetzen als dessen Erzeugnis. Es war dir, als sei’st du selbst der Schutzengel einer, zu denen das zum Tode geängstigte Mädchen flehte, ja als müßtest du nur gleich dein Taschenpistol hervorziehen und die Alte ohne weiteres totschießen! Aber indem du das lebhaft dachtest, schriest du laut auf: Heda! oder: was gibt es dorten, oder: was treibt ihr da!
aus: Hoffmann, E.T.A: Sämtliche Werke in sechs Bänden. Hg. von Hartmut Steinecke und Wulf Segebrecht. Band 2.1. Fantasiestücke in Callot’s Manier. Werke 1814. Frankfurt a. M. 1993, S. 279–280.
Elektrisiermaschine, Leidener oder Kleistʼschen Flaschen, Isoliermaterial, Konduktor und elektrische Spiele. In: Johann Christian Wiegleb: Johann Nikolaus Martius Unterricht in der natürlichen Magie, oder zu allerhand belustigenden und nützlichen Kunststücken, völlig umgearbeitet. Berlin, Stettin: F. Nicolai, 1779. Tab. I. Wellcome Collection.
Literaturempfehlungen:
Bose, Georg Matthias: Die Electricität nach ihrer Entdeckung und Fortgang mit poetischer Feder entworfen. Wittenberg 1744.
Daiber, Jürgen: Experimentalphysik des Geistes. Novalis und das romantische Experiment. Göttingen 2001.
Gaderer, Rupert: Poetik der Technik. Elektrizität und Optik bei E.T.A. Hoffmann. Freiburg i. Br. 2009.
Gamper, Michael: Elektropoetologie. Fiktionen der Elektrizität 1740–1870. Göttingen 2009.
Hochadel, Oliver: Öffentliche Wissenschaft. Elektrizität in der deutschen Aufklärung. Göttingen 2003.
Specht, Benjamin: Physik als Kunst. Die Poetisierung der Elektrizität um 1800. Berlin 2010.