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Medienguide Bamberg
Unheimlich Fantastisch – E.T.A. Hoffmann 2022
Das Fantastische
Türknauf an der Wohnung Carl Friedrich Kunz‘ in Bamberg, Museen der Stadt Bamberg, Inv. Nr. 2/130. Foto: Jürgen Schraudner, Bamberg
Einen Höhepunkt von Hoffmanns fantastischer Erzählkunst bildet das Kunstmärchen Der Goldne Topf aus den Fantasiestücken in Callots Manier. In der Erzählung, deren Schauplatz Dresden ist, erlebt der Student Anselmus allerlei seltsame Abenteuer. Unklar bleibt, ob dieses Fantastische vielleicht nicht doch real sein könnte. Für Anselmus jedenfalls ist Dresden bevölkert von geheimnisvollen Schlangen, Salamandern und Hexen. Eine Inspiration für die Erzählung lieferte Hoffmann ein ganz realer Gegenstand: An der Bamberger Haustür von Hoffmanns Verleger Carl Friedrich Kunz befand sich ein Türknauf mit einer grinsenden Fratze, der zum Vorbild für das Apfelweib wurde, dessen Korb Anselmus umstieß.
„Apfelweibla“
Am verzauberten Türknauf aus dem Goldnen Topf lässt sich der fließende Übergang zwischen Realem und Fantastischen in Hoffmanns Werk nachvollziehen. Ein tatsächlicher Gegenstand aus dem realen Bamberg verwandelt sich im fiktionalisierten Dresden in etwas Fantastisches. Immer wieder finden sich solche realen Vorbilder für die fantastischen Elemente aus Hoffmanns Erzählungen. So stand etwa das Vorbild für Das öde Haus aus den Nachtstücken zu Hoffmanns Zeit auf der Berliner Straße Unter den Linden. Das Original des Bamberger Türknaufes befindet sich heute im Historischen Museum in Bamberg.
Transkription: Brief an Carl Friedrich Kunz
Dresden den 19 t August 1813.
Verehrtester! Vorgestern erhielt ich Ihren lieben Brief vom 7 t durch Morgenroth! — Daß Ihnen der Magnetiseur zusagt freut mich ungemein, da es mir den Beweis gibt, daß ich mein〈e〉 eignen Sachen ziemlich richtig beurteile! — Erinnern Sie Sich denn nicht, daß ich Ihnen selbst sagte: es würde das beste im Ganzen werden?
— Empfangen Sie in der Anlage, als Beweis meines Fleißes den Schluß des Ganzen. — Die Katastrophe habe ich, da die Anlage weitschichtig genug, in kurzen, aber starken Zügen gegeben! — In keiner als in dieser düstern verhängnisvollen Zeit, wo man seine Existenz von Tage zu Tage fristet und ihrer froh wird, hat mich das Schreiben so angesprochen — es ist, als schlösse ich mir ein wunderbares Reich auf, das aus mein〈em〉 Innern hervorgehend und sich gestaltend mich dem Drange des Äußern entrückte — Mich beschäftigt die Fortsetzung ungemein, vorzüglich ein Märchen das beinahe einen Band einnehmen wird — Denken Sie dabei nicht, Bester! an Schehezerade und Tausend und Eine Nacht — der Turban und türkische Hosen sind gänzlich verbannt — Feenhaft und wunderbar aber keck ins gewöhnliche alltägliche Leben tretend und sei〈ne〉 Gestalten ergreifend soll das Ganze werden. So z. B. ist der Geheime Archivarius Lindhorst ein ungemeiner arger Zauberer, dessen drei Töchter in grünem Gold glänzende Schlänglein in Krystallen aufbewahrt werden, aber am H. DreifaltigkeitsTage dürfen sie sich drei Stunden lang im HolunderBusch an Ampels Garten sonnen, wo alle Kaffee und Biergäste vorübergehn — aber der Jüngling, der im Fest〈t〉agsRock sei〈ne〉 Buttersemmel im Schatten des Busches verzehren wollte ans morgende Collegium denkend, wird in unendliche wahnsinnige Liebe verstrickt für eine der grünen — er wird aufgeboten — getraut — bekommt zur MitGift einen goldnen Nachttopf mit Juwelen besetzt — als er das erstemal hineinpißt verwandelt er sich in einen MeerKater u. s. w. — Sie bemerken Freund! daß Gozzi und Faffner spuken! —
Mit mein〈er〉 Gesundheit geht es besser, nur muß ich in diesem Augenblick beinahe zu viel arbeiten, da schwere Oper auf schwe〈re〉 Oper folgt — Iphigenia — Faniska — Sylvana — Cortez — es ist arg —
Mein Arzt hat das ††† Nervenfieber befürchtet, indessen der Sturm ist abgeschlagen! — Übrigens sind jetzt hier die Stufen: Ruhr — Nervenfieber — Tod! Vor zwei Tagen war ich noch so krank, daß ich wirklich daran dachte ein schöner Engel zu werden und heute habe ich das Billet an Nikomedes geschrieben und Alles ins Reine gebracht zum Absenden! — Bei dieser Gelegenheit eine Bitte! — Ich bin zwar noch in Ihrer Schuld, da aber unsere Verbindung fortwährt, so wird es Ihnen nicht sehr darauf ankomme〈n〉, mir auf folgende Art unter die Arme zu greifen, weil jede bare Zahlung künftig dadurch verringert wird. — Ich soll nach des Arztes Vorschrift roten Wein und zwar guten trinken, könnten Sie mir wohl durch Assignat〈ion〉 an ein〈en〉 hiesigen Weinhändler mit dem Sie in Verbindung stehn zu ein anderthalb oder Paar Dutzend Flaschen nicht zu teuern aber guten verhelfen? — Sonst aufrichtig gesagt kann ich es mir jetzt bei 10 rth Gehalt und enormer Teurung nicht antun Wein zu trinken — Gehts nicht so sagen Sie nein und damit gut — Es sind Odiosa kein Wort weiter
Das herrliche Buch: Schuberts Ansichten pp habe ich erhalten und bin begierig auf alles was der geniale Mann geschrieb〈en〉 und schreibt. Scharfsinnig mehr als poetisch ist die Erklärung der Ahndungen der Sonnambulen
Über Krieg und Frieden soll ich schreiben? — Ach Teuerster! Krieg ist es! — böser arger Krieg! Der Kaiser mit den Garden ging vorigen Sonntag fort, und seit der Zeit wird die Straße nicht leer von Truppen — wie eine ewige Prozession zieht Artillerie Kavall〈erie〉 Inf〈anterie〉 vorüber die schlesische Straße hinauf — von einer vorgefallen〈en〉 Schlacht weiß man bis dato nichts aber Alles ist in der größten Spannung und weiß der Himmel wie es uns ergehen wird — Wir vertrauen ganz auf das Glück v〈on〉 Nap〈oleons〉 Waffen — sonst sind wir verloren — Ich ziehe übrigens in die Stadt, da mein Häuschen äußerst angenehm gerade in der SchußLinie einer bedeutenden Schanze liegt — In diesem Augenblick daß ich dieses schreibe (Nachts 12 Uhr) kommt Kavaliere die auf der ganzen Straße vor mei〈nem〉 Fenster bivouaquiert, mei〈ne〉 Wirtin muß für 20 Mann kochen u. s. w. — Von dem Leben hier mitten im Kriege haben Sie Alle! — Verehrungswürdigste Bamberger! keine Idee! —
Die Vignetten haben Sie nun schon erhalten — also wird es wohl dabei bleiben müssen, es ist auch im Grunde so lieber als der Rand den ich übrigens auch gern und recht fantastisch gezeichnet hätte! — Rücksichts des Honorars für die künftigen Bände einige〈n〉 wir uns wied〈er〉 auf ein bestimmtes Honorar fürs Werk, da ich mir Ihre splendide〈n〉 Bogen natürlicherweise nicht honorieren lassen kann. — Ich bin nicht eigennützig, sonder〈n〉 will nur einigermaßen entschädigt sei〈n〉 für Aufwand an Kraft Mühe was eigentlich intaxable ist — .
Das Rhapsodisch〈e〉 d〈es〉 Briefs so wi〈e〉 das Gekritzel verzeihe〈n〉 Sie de〈m〉 Umstande daß ich erst um 10½ Uhr aus der Probe der Iphigenia gekommen, die seit 8 Tage〈n〉 die erste Oper ist die ich wied〈er〉 dirigiere, da ich einsitze〈n〉 mußt〈e〉 — von 5 bis 10½ Uhr TheaterProbe!! — es ist nehmlich Ballett dabei —
Ihre lieb〈e〉 Frau grüß〈e〉 herzlichst
Adio mio carissimo amico
Hff
Schreiben Sie schleunigst um mein〈e〉 Promptitude zu belohn〈en〉 Den nächst〈en〉 Brief adress〈ieren〉 Sie wie gewöhnlich, künftig: Moritz Straße No bei dem Hrn. OberExaminator Herrmann. 3 Treppen hoch. Grüßen Sie Wetzel und Speyer Weiß pp
aus: Hoffmann, E.T.A: Sämtliche Werke in sechs Bänden. Hg. von Hartmut Steinecke und Wulf Segebrecht. Band 1. Frühe Prosa/Briefe/Tagebücher/Libretti/Juristische Schrift. Werke 1794–1813, Frankfurt a. M. 2003, S. 301–304.
Literaturempfehlungen:
Reher, Stephan: Leuchtende Finsternis. Erzählen in Callots Manier. Köln 1997.
Schmidt, Olaf Jürgen: “Callots fantastisch karikierte Blätter“. Intermediale Inszenierungen und romantische Kunsttheorie im Werk E.T.A. Hoffmanns, Berlin 2003.
Scott, Walter: On the Supernatural in Fictitious Composition; and particularly on the works of Ernest Theodore William Hoffmann. In: Foreign Quarterly Review 1 (1827), H. 2, S. 60–98.